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Die “deutsche” Rationalisierungsbewegung und der “Amerikanismus”.
Zum Amerika-Diskurs der 20er Jahre in der Weimarer Republik.

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0. Kurzschluss der Geschichte

Die Adam Opel AG hat neulich in einer Krisensituation einen Bogen zwischen den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und unserer Gegenwart geschlagen. Im März 1929 wurde Opel von General Motors gekauft; im Oktober 2004 wollte General Motors die Opel-Werke in Deutschland massiv abbauen (Gerüchten zufolge wollte das amerikanische Unternehmen eigentlich sogar die Adam Opel AG auflösen). Eine Geschichte, die in den 20er Jahren ihren Anfang nahm, scheint im Jahr 2004 fast zu ihrem vorläufigen Ende gelangt oder, präziser formuliert, zu ihrem Anfang zurückgekehrt zu sein. Und in der Tat, wenn wir die heutige Diskussion zur Globalisierung in Deutschland verfolgen, fällt uns eine gewisse Parallele auf: am auffälligsten Amerikanisierung / Globalisierung, oder Fordismus / Post-Fordisums. Damals wie heute herrscht eine gewisse Krisenstimmung und liegt ein mehr oder weniger ausgeprägter Anti-Amerikanismus in der Luft. Wenn jedoch hier den Opel-Krisen besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, geschieht dies deshalb, weil eine gesellschaftliche Krisensituation in beiden Fällen durch einen durchaus ähnlichen Amerika-Diskurs artikuliert wurde. Diese Ähnlichkeit bringt die beiden Opel-Krisen gleichsam zum historischen Kurzschluss. Als eine Einleitung unserer Untersuchung sollen die beiden Fällen etwas näher beleuchtet werden.

1. Opel-Krisen 1929 / 2004

Am 14. Oktober 2004 verließen die Opel-Arbeiter in Bochum, die gerade zur Nachtschicht antreten sollten, plötzlich ihre Betriebe, als bekannt wurde, dass General Motors 12.000 Arbeitsplätze in Europa abschaffen wolle, darunter 10.000 in Deutschland. Diese Aktion erfolgte spontan, ohne jegliche Absprache mit der IG-Metall und dem Betriebsrat und ohne vorherige Benachrichtigung der Unternehmensleitung, was eine souveräne Missachtung aller bundesdeutschen Spielregeln des Arbeitskampfes darstellte.(1) In den darauf folgenden sieben Tagen blockierten die Opelarbeiter das Tor zur Fabrik; folglich standen die Bänder still. Die Politiker, die Gewerkschaftsfunktionäre und die Medien waren entsetzt und verwirrt. Am siebten Tag organisierte die IG-Metall eine Abstimmung mit einer trickreich und suggestiv formulierten Frage(2) und brachte endlich den „wilden Streik“, wie man ihn so nannte, zum Abbruch. Was uns hier an dieser erfolgreichen Bekämpfung der Initiative der Arbeiter durch die Gewerkschaftsfunktionäre interessiert, ist allerdings nicht nur dieser Vorgang, sondern auch der Umstand, dass die Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften nach der Wiederherstellung der Ordnung versucht haben, ein Stück Amerika-Diskurs(3) ins Spiel zu bringen. „Europa ist nicht Texas“ warnte der stellvertretende Vorsitzende der IG-Metall Berthold Huber das Management von General Motors.(4) Der nordrhein-westfälische IG-Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel wollte die „Mitbestimmung gegen den amerikanischen Kapitalismus verteidigen“.(5) Und schließlich verkündete Klaus Hemmerling, der europäische Betriebsrat bei General Motors: „In Europa herrscht nicht der Wilde Westen wie in Amerika. Bochum ist nicht die Bronx von New York.“(6) Diese Statements kann man in einem Satz zusammenfassen: „Wir lassen uns nicht amerikanisieren!“ Eindeutig und kämpferisch. Die Frage ist nur: Läßt sich überhaupt eine Kultur oder eine Gesellschaft amerikanisieren?

Die Kampfansage an den angeblichen „Wild-West-Amerikanismus“, welche die heutigen Spitzenfunktionäre der IG-Metall formulieren, klingt hohl und fast lächerlich, weil wir alle wissen, dass auch z.B. Daimler bei Chrysler in den USA genauso wie General Motors in Deutschland Arbeitsplätze abbaut und dass es sich daher keineswegs um etwas spezifisch Amerikanisches handeln kann. Ein anderer Amerikanisierungsalarm hingegen, den einige führenden Persönlichkeiten der deutschen Industrie im Jahre 1929 anläßlich der Reaktion auf die Nachricht von Verkauf der Opel-Werke an General Motors schlugen, war angesichts seiner Folgen und Auswirkungen alles andere als hohl und lächerlich. Als diese Nachricht bekannt wurde, waren der Vorstandsvorsitzende der Vereinigten Stahlwerke AG Albert Vögler und der Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht als deutsche Vertreter an der Pariser Sachverständigenkonferenz beteiligt, die den Young-Plan in seinen Einzelheiten ausarbeitete. Die beiden reagierten sehr empfindlich: Vögler sah nun die Reparationszahlungen die Substanz der deutschen Wirtschaft angreifen und Deutschland einer „großen Gefahr“ ausgesetzt, „eine amerikanische Arbeitsprovinz zu werden“; Schacht behauptete sogar, dass selbst „I.G. Farben, die A.E.G. und andere erstklassige deutsche Werke heute schon in sehr weitem Umfang in amerikanischem Besitz seien“.(7) In diesen Aussagen wirkt im Hintergrund ein bekannter Topos des Amerika-Diskurses der 20er Jahre: der „Dollarimperialismus“.(8) Vögler verweigerte folglich die Zustimmung zum Young-Plan und verließ die Delegation. Schacht leitete zwar die Delegation, lehnte aber nach seiner Rückkehr in Deutschland den Plan ab und trat als Reichsbankpräsident zurück.

Der Historiker Joachim RADKAU bewertet dieses Ereignis als einen „Markstein in der Entwicklung der Weimarer Republik“.(9) Denn Vögler und Schacht waren beide sehr einflussreich im Hinblick auf die Meinungsbildung in der Wirtschaft und wurden beide in der Folgezeit umgehend zu Förderern der NSDAP. Und auch im Hinblick auf den Verlauf der Amerikanisierungs- und Rationalisierungsdebatte in der Weimarer Republik markiert das Ereignis einen Wendepunkt. Mit der Durchsetzung der amerikafeindlichen Überfremdungsthese gegenüber einem in der Zeit des Dawsplans dominanten Konzept, das in der amerikanischen Investition einen Weg zum Wiederaufbau Deutschlands sah, gewann auch auf der Ebene des Amerika-Diskurses der Anti-Amerikanismus die Oberhand. Im Bereich des Rationalisierungsdiskurses setzte sich immer effektiver die konservative Richtung in Szene, die vor allem vom DINTA (Deutsches Institut für technische Arbeitsschulung) vertreten war, und brachte zunehmend militant-völkische Elemente ins Spiel. Die Opel-Krise von 1929 war so gesehen auch ein Anfang des Endes der Weimarer Republik. Wir wissen hingegen noch nicht, was die Opel-Krise von 2004 bedeutet – der Anfang einer neuen sozialen Bewegung oder ein endgültiges Aus des Konzepts der Wohlstandsgesellschaft? Jedoch ist davon auszugehen, dass es sich hier um einen großen sozialen Umbruch handelt. Dieser muss sich offenbar in der deutschen Gesellschaft vor allem in einem Diskurs über Amerika artikulieren.

Der Amerika-Diskurs der Opel-Krisen gibt uns einige Hinweise darauf, wie eine Untersuchung des Amerika-Bildes, das der Amerika-Diskurs immer produziert, aussehen kann. Wie jenes Bild des Wilden Westen überdeutlich demonstriert, kann es bei der Erforschung des Amerika-Bildes nicht darum gehen, dieses mit dem „Original“ zu vergleichen und seine Einseitigkeit und Voreingenommenheit zu kritisieren. Wie Peter BERG in seiner Studie „Deutschland und Amerika 1918-1929“ festgestellt hat, gibt das Amerika-Bild über dessen Produzenten, seine Interessen, Wünsche und Ängste, mehr Aufschluß als über das Land, das es angeblich darstellen soll. So verfolgten jene Gewerkschaftsfunktionäre mit ihren antiamerikanischen Bildern auch ein ziemlich banales innenpolitisches Interesse: die Abwendung des Vorwurfs vonseiten der kritischen Opel-Mitarbeiter wegen ihres „verräterischen“ Verhaltens. Das Amerika-Bild kann auch, wie Rob KROES hinweist, als Medium funktionieren, das es einem ermöglicht, durch eine mehr oder weniger kreative Aneignung des Fremden das Eigene neu oder umzuformulieren.(10) Außerdem mahnt der Fall von Vögler und Schacht, den Amerika-Diskurs und das Amerika-Bild ernst zu nehmen, wenn sie auch stereotyp, einseitig oder einfach falsch sein mögen. Sie sind trotzdem durchaus in der Lage, in den Lauf der Geschichte einzugreifen. Insofern es sich beim Amerika-Bild meistens um ein stereotypes Bild eines fremden Landes handelt, läßt sich auch der Befund der Stereotypenforschung auf die Erforschung des Amerika-Bildes übertragen. Sie nennt dabei drei Funktionen stereotyper Bilder: 1) die kognitive 2) die affektive 3) die soziale Funktion.(11) Diese sind auch in jedem Amerika-Bild wirksam. In unserer Untersuchung soll jedoch noch ein anderer Aspekt hervorhehoben werden. Wir betrachten ein Amerika-Bild als etwas, das wie Geld in der Gesellschaft in Umlauf ist und die Beziehung zwischen Menschen dort reguliert, und das anders als Geld einem ständigen Umgestaltungs- und Umdeutungsprozess unterworfen bleibt. Das Bild der Ford-Fabrik soll uns als solches Amerika-Bild dienen.


(1) Vgl. Jürgen Schwarz: „Warum arbeitet Rüsselsheim noch?“ In: Jungle World Nr. 44. 20. Oktober 2004. URL: www.jungle-world.com/seiten/2004/43/4191.php u. „Alle Bänder standen still“ In: Jungle World Nr. 45. 27. Oktober 2004. URL: www.jungle-world.com/seiten/2004/44/4217.php

(2) Die zur Abstimmung vorgelegte Frage lautete: „Soll der Betriebsrat die Verhandlungen mit der Geschäftsführung weiterführen und die Arbeit wieder aufgenommen werden?“

(3) Ein Amerika-Diskurs heißt in diesem Aufsatz einen Diskurs über Amerika.

(4) Felix Baum: „Wild verloren“. In: Jungle world Nr. 52. 15. Dezember 2004. URL: www.jungle-world.com/seiten/2004/51/4533.php

(5) „Alle Bänder standen still“ In: Jungle World Nr. 45. 27. Oktober 2004.

(6) Ebd.

(7) Joachim Radkau: Renovation des Imperialismus im Zeichen der „Rationalisierung“. In: Imperialismus im 20. Jahrhundert. Hrsg. von Joachim Radkau und Imanuel Geiss. München (Verlag C.H.Beck) 1976, S. 214.

(8) Vgl. Peter Berg: Deutschland und Amerika 1918-1929. Über das deutsche Amerikabild der zwanziger Jahre. Lübeck und Hamburg (Matthiesen Verlag) 1963, S. 83ff. 1927 erschien ein Buch zu diesem Thema, das wie kein anderes zur Herausbildung dieses Topos beitrug: „Dollar-Diplomatie“ von Scott Nearing und Joseph Freeman.

(9) Vgl. Joachim Radkau: Renovation des Imperialismus im Zeichen der „Rationalisierung“, S. 214-5.

(10) Vgl. Rob Kroes: If you’ve seen one, you’ve seen the mall. Urbana and Chicago (University of Illinois Press) 1996. Bes. Kap. 9.

(11) Vgl. Klaus Roth: >Bilder in den Köpfen<. Stereotypen, Mythen und Identitäten aus ethnologischer Sicht. In: Identitäten, Mentalitäten, Mythen und Stereotypen in multiethnischen europäischen Regionen. Hrsg. von Valeria Heuberger. Frankfurt am Main (Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften) 1999.


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